Guten Tag

Michaela Meise
2. November 2019 — 11. January 2020
Wir sind sehr glücklich, mit der ersten Einzelausstellung von Michaela Meise bei KM, ihr auch zum Gewinn des Kunstpreises der Stadt Nordhorn 2019 gratulieren zu können. Schon vor dem Betreten der Galerie kann der Besucher eine aus zwei Werken – Angelus Harpye (2019) und Eribon–Vanderbilt (2017) – zusammengefügte Skulptur als Gegenüber wahrnehmen. Sie scheint aus dem Ausstellungsraum hinaus in den Stadtraum zu greifen – Guten Tag! Die Skulptur öffnet sich, aus einem inneren Dialog in einer gegenläufigen Bewegung dem umgebenden Raum. Die Verschränkung von Aufwärts- und Abwärtsbewegung wird noch dadurch unterstützt, dass der Stuhl, auf dem eine Kalksteinskulptur ruht, nur noch mit drei Beinen fest auf der Erde steht, ein Bein schwebt in der Luft. Der Betrachter wird zu einem Dialog mit einem Raumkörper eingeladen, der unterschiedliche kulturelle Techniken und gesellschaftliche Ebenen als ein neues vielgestaltiges und fragiles Ganzes zeigt. Der Stein steht schwerelos auf dem Stuhl, der mit seinen collagenartigen Schichten ambivalente Bilder und Perspektiven aufruft. Ein afrikanischer Stoff, der anlässlich des Weltfrauentags 2009 gedruckt wurde, dient als Basis für eine Küchenmöbelwerbung, in der zwei selbstbewusst und fröhlich wirkende Frauen beim Kaffee miteinander lachen. Female Empowerment trifft auf weiße Spießigkeit. An der Rückenlehne des Stuhls wurde das Formblatt zur Wohngeldbeantragung zum Ornament. Eingeschnitzt in den Stuhl kann man Physiotherapie lesen und auf ihm sitzt noch diese fliegende Chimäre aus Stein. Die Materialien und Zustände gehen durch die Fassung ineinander über, so dass auch materiell ein Amalgam aus der Beschäftigung der Künstlerin
mit unserer Gegenwart entsteht.

Materielle, körperliche und geistige Zustände sind ebenso Thema der sieben neuen Collagen von Michaela Meise. Durch den Aufbau von Referenzsystemen schafft sie einen Schallraum für eine neue Haltung. Man könnte es einen radikal subjektiven Realismus nennen. Scheinbar unbeschwert und voller Humor begegnen uns die Silhouetten von Menschen in den Collagen. Sie sind fast alle aus Baumwolltuch geschnitten, in dem lange Zeit Ton atmete. In einer Collage heißt es: “Goodnight, Seattle and good mental health“. Ein Abschied, den Frasier, ein Fernsehmoderator und Psychoanalytiker immer am Ende seiner Radioshow im Rahmen einer Fernsehserie spricht, eine US-amerikanische Sitcom. Sie begleitet Menschen in den Neunziger Jahren in Seattle, die exemplarisch für das unbeschwerte, postmoderne Leben am Ende der Geschichte stehen, das es seit 9/11 nicht mehr gibt. Die Protagonisten leben in einer Wohlstandsblase, die heute eskapistisch erscheint.
Die Silhouetten in allen Collagen betonen durch die fast völlig fehlende Mimik die Körpersprache und ihre Bedeutung über die einzelne Person hinaus. Der Betrachter kann sich so direkt mit den Situationen identifizieren, in der sich die Menschen in den Bildern befinden. Die Künstlerin grenzt sich in ihren Werken immer wieder von Gesten der Erhabenheit und Überlegenheit ab, bricht sie und prangert sie in der Collage Two horsemen (2019) direkt an. Die Materialien in dieser Collage unterscheiden sich stark von der Materialwahl in den anderen Werken. Der Rhythmus und Ton der Komposition ist sonst von einem mitmenschlichen Witz getragen, hier wird es von der Künstlerin zu einer aggressiven Zerlegung von Überlegenheits- und Glitterfantasien gesteigert. In den Werken von Michaela Meise tritt der Hintergrund oft in den Vordergrund und gibt so den Blick frei auf die dahinter liegenden Tabus.