Spreequell

Michaela Meise
12. September 2024 — 19. October 2024
Wir freuen uns sehr, die dritte Einzelausstellung von Michaela Meise bei KM zu präsentieren:

Spreequell

Dieser Text ist nicht notwendig zum Verständnis der Ausstellung. Da das Motiv Engel aber kontrovers aufgefasst werden kann, möchte ich sagen, woher ich es habe. Engel sind verbreitete Motive in der christlichen Kunst und den davon geprägten Gesellschaften. Ich möchte über die Engel keinen Kulturraum oder Adressaten abgrenzen. Es ist eher umgekehrt so, dass sie die Symbole sind, die in mir vorkommen, um existentielle Themen auszudrücken, die man auch nichtreligiös beschreiben könnte. Wenn ich Aquarelle male, habe ich nicht vor, einen Inhalt darzustellen. Aquarelle sind für mich Werkzeuge, um Inhalte zu erforschen oder Situationen zu verarbeiten. Ich kenne mich nicht aus und habe ganz viele Fragen.

Die Engel in den Aquarellen sind ausschließlich Engel der Gegenwart. Ich arbeite keine Kunst- oder Ideengeschichte auf. Die Engel in meinen Aquarellen dürfen alles aus ihrer inneren Logik heraus. Ich hatte mal überlegt, ob sie eine Zigarette rauchen, aber intuitiv war das nicht das, was sie tun. Sie hantieren nicht mit Gegenständen. Einem Gebrauchsgegenstand der Alltagswelt am nächsten kommt der umgedrehte Getränkekasten vom Mineralwasser Spreequell, auf dem ein Engel im Gespräch sitzt. Solche Getränkekasten-Möbelstücke sind praktisch auf Partys oder bei kleinen Veranstaltungen.

In den Bildern tauchen Spannungen und Gewalt auf, wie ich sie durch Zeitung und Internet, durch den Filter der Stadt Berlin, durch meine Arbeits- und Freundeswelt erfahre. Auf den Aquarellen sind es aber nicht Menschen, sondern Engel, die sich gegenseitig niedermachen. Eine innere Ordnung der Werte wirkt erschüttert. Der Wunsch, anderen Menschen Gutes zu tun, wird unterschiedlich verstanden und die Boten gehen dazu über, körperliche Gewalt anzuwenden. Es sind auch Stufen außerhalb von Gewalt sichtbar: Begegnungen, Zuwendung, Trauer.

Die heiligen Texte des Judentums, Christentums und des Islam kennen Engel. In der christlichen Ikonografie werden einige karmesinrot dargestellt, weil Seraphim als Feuergeschöpfe gelten. Engeldarstellungen mit Flügeln oder Heiligenschein haben ihren Ursprung in nicht-abrahamitischen Religionen, deren Bildwelten über Jahrhunderte von der christlichen Kunst absorbiert wurden. In der hebräischen und der christlichen Bibel (aka Altes und Neues Testament) sind Engel lediglich „Boten“ (lateinisch: angelus). Da ist ein Mann, mit dem Jakob rauft, da kommen ein paar Männer zu Besuch und hinterher stellt sich raus, es war eine Begegnung mit Gott. Die Engel auf meinen Bildern sind wahrscheinlich keine solchen Boten. Ihre Engelsgestalt betont die Würde und Heiligkeit jedes Menschen, oder anders ausgedrückt: die philosophische Gleichheit der Menschen an sich. Die Menschen müssten hierarchielos sein – sie könnten es sein.

Die Keramikbecher sind eine fortschreitende Produktion von Einzelstücken, die für den Gebrauch bestimmt sind (wenn man möchte). Gleichzeitig gehe ich bei der Gestaltung des Gefäßes und seiner Bemalung genauso vor, wie ich es bei einem Aquarell tue. Der Kontext ist aber ein anderer. Die Becher beziehen sich auf Traditionen der Gebrauchskeramik. Das Gefäß zum Trinken oder Essen, zum Bevorraten von Speisen ist nicht nur Teil der Kunstgeschichte – der Kunstgeschichten aus Kulturen aller Kontinente – sondern auch der Anthropologie. Es ist eine Motivation für mich, in dieser alten Kulturtechnik zu arbeiten, die seit ihrem Bestehen Rückstände in Form von Scherben in der Welt hinterlässt.

Die Becher bestehen aus Steinzeugkeramik, die bei 1240 Grad gebrannt ist. Das bedeutet, sie ist gesintert und damit lebensmittelsicher. Das Gefäß kann auch in die Spülmaschine. Die Glasuren wurden ebenfalls nach Lebensmittelsicherheit ausgewählt. Die Keramiken befinden sich zusammen mit Schaufensterdekoration auf einem Display, das sich über den Fensterrahmen mit der Ladenarchitektur verbindet. So verbinden sich die Werke im Innenraum mit dem Außenraum. Am Schaufenster kann es Blickaustausch mit den Spaziergänger:innen geben, die am Mehringplatz unterwegs sind.

Michaela Meise

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We are delighted to present Michaela Meise's third solo exhibition at KM:

Spreequell

This text is not essential for understanding the exhibition. However, as the motif of angels can be perceived controversially, I would like to explain where I got it from. Angels are widespread motifs in Christian art and the societies characterised by it. I don't want to use angels to delimit a cultural area or an addressee. It is rather the other way round, that they are the symbols that I use to express existential topics that could also be described in non-religious terms. When I paint watercolours, I don't intend to depict content. For me, watercolours are tools for exploring content or processing situations. I am not familiar with them and have a lot of questions.

The angels in the watercolours are exclusively angels of the present. I am not working on the history of art or ideas. The angels in my watercolours are allowed to do everything out of their own inner logic. I once considered whether they were smoking a cigarette, but intuitively that wasn't what they were doing. They don't handle objects. The closest thing to an everyday object is the upside-down crate from Spreequell mineral water, on which an angel is sitting in a conversation. Such pieces of furniture made from beverage crates are practical at parties or small events.

Tensions and violence appear in the paintings, as I experience them through newspapers and the internet, through the filter of the city of Berlin, through my own world of work and friends. In the watercolours, however, it is not people but angels who are beating each other up. An inner order of values seems shaken. The wish to do good to others is understood differently and the messengers resort to physical violence. There are also visible stages beyond violence: encounters, affection, mourning.

The sacred texts of Judaism, Christianity and Islam mention angels. In Christian iconography, some are depicted in crimson because seraphim are considered creatures of fire. Images of angels with wings or halos have their origins in non-Abrahamic religions, whose imagery was absorbed by Christian art over the centuries. In the Hebrew and Christian Bibles (aka Old and New Testament), angels are merely "messengers" (Latin: angelus). There is a man with whom Jacob wrestles, a couple of men come to visit and afterwards it turns out to have been an encounter with God. The angels in my works are probably not such messengers. Their angelic form emphasises the dignity and holiness of every human being, or to put it another way: the philosophical equality of human beings as such. People should be without hierarchy - they could be.

The ceramic mugs are a progressive production of individual pieces that are intended for use (if you like). At the same time, I proceed in the same way with the design of the vessel and its painting as I do with a watercolour. But the context is different. The mugs refer to traditions of everyday ceramics. The vessel for drinking or eating, for storing food, is not only part of the history of art - the history of art from cultures on all continents - but also of anthropology. It is a motivation for me to work with this ancient cultural technique, which has left behind residues in the form of shards since its beginnings.

The mugs are made of stoneware ceramics fired at 1240 degrees. This means it is sintered and therefore food-safe. The vessel can also be put in the dishwasher. The glazes have also been selected for food safety. The ceramics are displayed together with window decorations on a display that connects to the shop architecture via the window frame. In this way, the works in the interior connect with the exterior. At the shop window, there can be an exchange of views with the people walking around Mehringplatz.

Michaela Meise